Deutschland vor Rundumprivatisierung?
von Gerhard Spannbauer (krisenvorsorge)
Fast jedes der sogenannten Dritte Welt Länder hat Jahrzehnte an Privatisierungen hinter sich. Die Versprechungen von Wachstum für Massenwohlstand haben sich dabei nicht nur nirgends verwirklicht, sondern sind meist sogar ins Gegenteil umgeschlagen. Das hat die mächtigen Privatisierungsprediger freilich nie daran gehindert, ihre Medizin nach Kräften weiter zu verabreichen. Via Griechenland wurde das neoliberale Rezept in seiner harten Dritte-Welt-Variante bereits in Europa eingeführt. Und just in diesem Moment steht – natürlich unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit – auch Deutschland an dieser Schwelle.
Es steht ein Dammbruch an, bei dem es um sehr viel mehr als ein paar mautpflichtige Autobahnen geht. In den für heute, am 1.6.2017 angestrebten Bundestagsbeschlüssen geht es um die Privatisierung von Autobahnen und auch von Schulsanierungen. Für den Einstieg in das hiesige Verkehrs- und Bildungssystem wird den globalen Investoren in der Bundestagssitzung womöglich das Grundgesetz an bis zu 13 Stellen neu zurechtgelegt.
Die von der Finanzbranche gewünschten und angestrebten Änderungen werden nicht nur von Gewerkschaften und Linkspolitikern kritisiert, sondern auch „von Fachleuten bis hin zum Bundesrechnungshof“, wie Gewerkschaftsvorstand Herbert Storn im Magazin Rubikon schreibt. Vor allem die Privatisierung Öffentlicher Güter durch Öffentlich-private Partnerschaft (ÖPP) steht dabei im Fokus:
„Mit ÖPP werden Autobahnen und Schulen in der Regel 30 Jahre lang von Finanzinstituten abhängig, die daraus ein Finanzprodukt machen. Die Bundestagsabgeordneten, speziell der SPD, wo die Unruhe am größten ist, haben es in der Hand, die Weichen richtig oder falsch zu stellen.“
Es dürfte klar sein, was Storn für falsch hält und es dürfte auch klar sein, dass die SPD mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit die Weichen auf „falsch“ stellt, sprich der Privatisierung zustimmt. Es kämen hierbei zwar nach wie vor keine privaten Beteiligungen in Form Gesellschaftsanteilen in das Grundgesetz, dafür aber, erstmalig in der Geschichte der Bundesrepublik, „die funktionale Privatisierung über ÖPP“.
Diese funktionale Privatisierung soll auch bei der „Bundesunterstützung zur Schulsanierung finanzschwacher Kommunen“ im Grundgesetz verankert werden. Laut Storn ist dies eine bewusst vage Ausdrucksweise, die Spielraum für spätere Erweiterungen lässt. Besonders pikant ist Storns Vorwurf, dass bei den zuständigen Körperschaften bewusst künstliche Knappheiten und „Sachzwänge“ geschaffen wurden, um „Bund, Länder und Kommunen in die Fänge von Banken und Versicherungen (zu) treiben und das in Deutschland in Misskredit geratene ÖPP-Geschäft“ wieder zu beleben.
Jetzt kann man einem Gewerkschaftsvertreter wie Storn natürlich unterstellen, ein rein ideologischer Umverteiler zu sein. Dem stehen jedoch die langjährigen Erfahrungen aus aller Welt gegenüber, die nur in den allerseltensten Fällen positive Effekte großer Privatisierungsprojekte zeigten. Ob Transport, Post, Gesundheitswesen oder Wasserversorgung: für die große Masse an „Kunden“ zeigten sich die Innovationen meist in nachlassendem Service bei steigenden Preisen. Ein Segen waren die Umgestaltungen eher für die Shareholder der privaten „Partner“. Das mag als Fazit pauschal klingen, doch ein näherer Blick auf die Vorgehensweisen von IWF, Weltbank, World Trade Organisation und anderer Privatisierungsbetreiber wird das bestätigen. Sehr aufschlussreich, besonders in Bezug auf die sogenannte Dritte Welt, ist hier das unten empfohlene Buch des ehemaligen „Wirtschaftskillers“ John Perkins. In Bezug auf den aktuellen Fall ist vor allem die Schweigepolitik der Bundesregierung wieder einmal sehr aufschlussreich:
„Denn noch nie war bei einem derart ins Gefüge der Beziehungen von Bund, Ländern und Kommunen eingreifenden, aber auch die Verfügung über öffentliche Güter verändernden Gesetzespaket dieser Größenordnung die Öffentlichkeit und selbst die Medien so außen vor.“
Man möchte möglichst wenig Staub aufwirbeln, da man weiß, dass diese Maßnahmen nicht ohne großen öffentlichen Widerstand und Aufruhr durchführbar wären. Denn die hinter dieser Politik stehende neoliberale Philosophie wird beim „einfachen Volk“ immer unbeliebter, während sie in elitären Finanzkreisen wie eh und je das Maß aller Dinge bleibt. Da hält man dann auch gern mal wider besseren Wissens an den alten Mythen fest. Ein Mythos der nach wie vor auch „im Volk“ beliebt ist, sagt, dass jede staatliche und öffentliche Verwaltung nur „Schlampererei“ und „Geldverschwendung“ hervorbringt, während alleinige private Gewinnorientierung jeden Arbeitsprozess in perfekte Effizienz führt. Das klingt so schön einfach und lässt sich so verführerisch reibungslos auf jede Situation anwenden.
Doch selbst wenn es stimmen würde, dass einzig und allein Profitstreben Effizienz hervorbringe, gibt es weitere Probleme damit: das Profitstreben der Anleger ist so gut wie nie mit den privatisierten Projekten und deren Erfolg oder Misserfolg verbunden. So haben die Shareholder meist nicht nur kein Interesse an den konkreten Projekten und deren Inhalten, sondern sie kennen diese oft nicht einmal, weil „ihr“ Konzern oder Investmentpool in diversen Projekten gleichzeitig und überall auf der Welt involviert ist. Dieser lange Weg zwischen „Geldgeber“ und Anlageobjekt mit seiner Abtrennung und Anonymisierung ist ein Aspekt, der in der Privatisierungsdebatte in der Regel unerwähnt bleibt.
Da also kaum ein Anleger nachvollzieht, in was genau sein Geld da gerade „arbeitet“, ist es kein Wunder, dass „die Privaten“ eben kein Interesse an ihrem Investitionsobjekt, sondern nur an dessen finanziellen Output haben. Böse Zungen behaupten, diese Gleichgültigkeit sei durchaus Absicht, um Größenvorteile und Profite nicht durch „Sentimentalitäten“ wie Menschenrechte, Umweltbedenken oder ganz allgemein Ethik schmälern zu lassen. Über diese Entkoppelung, die direkten menschlichen Kontakt vermeidet, funktioniert letztendlich „unser“ gesamter Neoliberalismus.
Diese grundsätzlichen Anmerkungen bedeuten keineswegs, dass der von privatem Besitz geprägte Kapitalismus als Geldbeschaffungssystem per se schlecht ist. Schlecht ist „nur“ die Entkoppelung von Gewinnerwartung und Gewinn einerseits sowie Verantwortung für die Folgen andererseits. Leider wird diese differenzierte Betrachtungsweise für unsere Bundestagsabgeordneten heute kaum eine Rolle spielen (das Ergebnis der Abstimmung stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest). Die Meisten werden wie von Lobbyisten und Parteidisziplin vorgegeben den Privatisierungs-Dammbruch wohl ermöglichen. Selbst wenn es zu einem überraschenden „Nein“ kommt, dürften die gewünschten Verfassungs- und Gesetzesänderungen eher auf Wiedervorlage gesetzt denn abgewendet sein. Außerdem werden natürlich weitere Privatisierungsvorhaben in allen gesellschaftlichen Bereichen weiter vorangetrieben werden. Immerhin wäre Zeit gewonnen, eine breite Öffentlichkeit angemessen über diese nicht ganz unwesentlichen Vorgänge hier zu informieren.
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Und was sagt uns das? Deutschland ist pleite. Nach der Bundestagswahl am 24. September wird die neue oder auch alte Regierung feststellen, dass sich plötzlich riesige Finanzlöcher auftun, obwohl diese schon längst existieren. Die Staatsschulden (inkl. der impliziten Schulden), sowie die Verbindlichkeiten und Bürgschaften haben sich auf rund zehn Billionen Euro angehäuft. Deshalb muss, um Teufel komm raus, alles noch staatliche privatisiert werden. Erst wenn das letzte Tafelsilber an private Investoren verscherbelt wird, werden die gewählten Volksverräter feststellen, dass die Kassen leer sind und den Bürgern auch noch das letzte Hemd genommen wird.
Meine Stimme abgeben! – Ich bin doch nicht BLÖD!